„Wirf dein Herz über den Fluss und spring hinterher.“

So sagt ein indianisches Sprichwort, über das sich das Nachdenken und -fühlen lohnt. Was ist, wenn das Herz ins Wasser gefallen ist und weg geschwemmt wurde? Wohin soll ich dann springen? Und schaffe ich es noch, es wieder zu finden? Ist es abgekühlt? Womöglich angefressen worden? Kaputt? Warum zögere ich immer noch? Ist es schon zu spät? Und manchmal fühlt es sich so an als habe ich noch gar nicht den Mut gehabt, das Herz über den Fluss zu werfen. Oder, was ja auch zu überlegen ist, zusammen mit Herz (also „beherzt“) zu springen, auf zu neuen Ufern. Ob der Fluss überhaupt noch Wasser führt? Gibt es irgendwo eine Brücke, wenn ich mich nicht zu springen traue?

Die Übergänge im Leben haben es irgendwie immer in sich. Der erste große Weg ist der der Geburt und sicher ist es gut eingerichtet, dass wir uns daran nicht mehr erinnern können. Viele enorme Entwicklungsschritte scheinen von Außen betrachtet einfach so zu passieren, das erste eigene Heben des Köpfchens, das Lächeln, das Spiel mit den eigenen Fingern usw.

Große Schritte sind bereits vollzogen, wenn das Kind regelmäßig eine Kita besucht, eingeschult wird und neben der Familie Erzieher und Lehrer, Gleichaltrige und ältere Kinder stark an Einfluss gewinnen. Und dann beginnt irgendwann plötzlich die Pubertät und nicht nur Körper, sondern auch Geist und Gefühle des jungen Menschen verändern sich – nicht nur der Stimmbruch der Jungen sorgt dann unüberhörbar für dissonante Töne.

Das Erwachsenwerden ist ein langsamer Reifungsprozess, verbunden mit enormen Höhen und Tiefen. In die Zeit der sogenannten Adoleszenz fällt auch die Übergangszeit von der Schule in den Beruf, auch wenn Themen wie Freundschaft und Liebe, Grenzen der Eltern ausloten, eigenes Geld und der Führerschein meistens für die Betroffenen viel wichtiger sind. Hier stellt sich die Frage der Berufswahlreife und es lässt sich nicht am Kalender oder den leidigen Bewerbungsfristen ablesen, wann Jugendliche und junge Erwachsene innerlich an diesem Punkt angekommen sind (auch das Gras wächst übrigens nicht schneller, wenn man daran zieht!).

Ob uns spätere Übergänge leicht oder schwer fallen, ist auch davon geprägt, wie wir mit unseren frühen Übergängen zu Recht gekommen sind und wie wir sie letztlich gemeistert haben. Auf eigenen Füßen stehen, eine Partnerschaft eingehen, vielleicht selbst eine Familie gründen. Die berufliche Laufbahn einschlagen, sich weiterbilden oder einen neuen Beruf erlernen. Karriere machen und zugleich mit Herzblut bei den Kindern sein. Der Übergang, wenn die Kinder gehen oder der, wenn einem bewusst wird, dass man nicht mehr so selbstverständlich die alte Kraft und Vitalität hat. Der Übergang, wenn ich nicht mehr arbeiten will, kann oder darf. Und so weiter.

Lebensentwürfe gelingen nicht immer! Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der Abbrüche und Umbrüche, Scheitern und Neubeginn zu Übergängen ganz selbstverständlich dazu gehören dürfen sollten, auch wenn es uns nicht immer lieb oder bewusst ist. Leider signalisieren wir einander, dass wer „richtig“ lebt und an den Scheidestellen des Lebens die „richtigen“ Entscheidungen trifft, gar nicht scheitern kann. Und wundern uns, wenn es ringsum doch überall und immer wieder passiert und so viele Menschen verzweifeln.

Übergänge sind individuell unterschiedlich verlaufende Entwicklungsprozesse, sowohl inhaltlich als auch vom Zeitablauf her. Schulische und berufliche Bildung muss die individuellen Entwicklungspotenziale der Menschen aufnehmen und fördern. Sie muss Umwege und Abwege zulassen. „Übergangsbetreuung muss in hohem Maße individualisiert sein oder doch wenigstens die Chance bieten, individuelle Suchstrategien und Entscheidungswege zu realisieren. Kollektive Prozesse zu organisieren, ohne dabei solche notwendigen Individualisierungen zu berücksichtigen und entsprechende Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, ist kaum erfolgversprechend.“¹

Es muss natürlich auch darum gehen, den Erfordernissen des demographischen Wandels und der alternden Gesellschaft gerecht zu werden. Und es ist gut, wenn der Einzelne nicht zu viele Brüche in seinem Lebenslauf verkraften muss. Aber was uns insgesamt betrachtet unter einen dramatischen Druck setzt, ist der Zwang zur Selbst-Optimierung, der gerade in der jüngeren Generation massiv um sich greift und viele ernsthaft krank macht. Schulwechsel, Ausbildungsabbrüche und Studienabbrüche sind natürlich schwer, aber genau so wie Ehescheidungen und Patchwork-Familien gehören sie zum Alltag in unserer Gesellschaft und auch über eine gescheiterte Selbstständigkeit sollte sich inzwischen niemand mehr schämen müssen. Das Leben geht weiter, neue Wege werden sich auftun. Manchmal zeigt oder baut jemand einem unerwartet eine Brücke.

Übergänge werden oft als Krisen erlebt. „Das Herz rutscht einem in die Hose“, sagt der Volksmund. Erst im Nachhinein wird den meisten klar, wie viele Chancen auch darin stecken. Es kommt dabei jedoch nicht auf die Hose an, sondern auf das Herz, das darin schlägt²!

Um Menschen bei der Gestaltung all dieser Übergänge wirkungsvoll zu begleiten, braucht es Geduld, Langmut, Toleranz, Respekt, Optimismus, Engagement und die Erkenntnis und Überzeugung, dass der Andere anders ist und dass das gut so ist. Das müssen Familie, Schule, Freundeskreis, Kollegenkreis leisten.

Und das müssen auch wir als Berater und psychotherapeutisch Tätige leisten. Sprechen Sie mich gern an, wenn Sie Begleitung in einer Übergangs- oder Krisensituation wünschen.

Quellenangaben:

¹ Prof. Dr. Manfred Eckert in der Zeitschrift „Berufsbildung“ (Heft 129, 2011).
² Walter Boente zitiert von B. Trenkle im AHA-Handbuch, Carl Auer-Verlag